
Der Wettlauf um die beste KI-Anwendung hat begonnen. Anstatt jedoch nach einer einzigen, perfekten Lösung zu suchen, sollten Unternehmen zunächst einen schrittweisen Ansatz verfolgen und kleine Maßnahmen ergreifen, die in ihrer Gesamtheit zu erheblichen Verbesserungen führen können, sagt Timothée Raymond, Head of Innovation and Technology bei Linedata, einem in Paris ansässigen Anbieter von Technologielösungen und Dienstleistungen für die globale Vermögensverwaltungsbranche.
Welche Auswirkungen wird KI auf Finanzdienstleistungen haben?
Sie wird die Branche grundlegend verändern. Doch anstatt uns darauf zu konzentrieren, was sie ersetzen wird, sollten wir den Fokus darauf legen, wie sie künftig unsere Arbeitsweise verbessern kann. Der größte Wert für die Branche liegt derzeit nicht in radikalen Umgestaltungen, sondern in der Summe vieler kleinerer Anpassungen. Ich nenne das die ‚Macht der fünf Sekunden‘. Die Optimierung jeder einzelnen Interaktion und die konsequente Umsetzung kleiner Verbesserungen innerhalb eines Systems führen zusammen zu einem erheblichen Unterschied.

Welche schrittweisen Verbesserungen gibt es z.B. bei Finanzdienstleistern?
Bestehende Compliance-Prozesse erzeugen häufig eine Vielzahl von Fehlalarmen. Mit einem dynamischen Ansatz kann KI aus vergangenen Fällen lernen und viele dieser Fehlalarme eliminieren, ohne dass ihre Aktionen explizit als Regeln festgelegt werden müssen. Ein weiteres Beispiel ist die Beschleunigung interner Prozesse: Während einige Probleme von einem Analysten gelöst werden können, erfordern andere die Expertise eines erfahrenen Buchhalters. Eine KI, die in der Lage ist, solche Aufgaben an das am besten geeignete Teammitglied weiterzuleiten, bietet enormen Nutzen. Zwar könnten Menschen dies in Sekunden oder Minuten erledigen, aber eine KI, die kontinuierlich die Effizienz auf Mikroebene verbessert, wird letztlich die Arbeitsweise und Organisation von Banken revolutionieren. KI wird nicht jedes einzelne Problem lösen, aber sie ist ein wesentlicher Bestandteil eines umfassenderen Wandels
KI wird unsere Industrie grundlegend verändern.“
Wie sollten sich BFSI-Organisationen in Richtung KI weiterentwickeln? Allein oder in Kooperation mit Spezialisten?
Ich empfehle einen hybriden Ansatz. BFSI-Organisationen sollten eine klare Vision entwickeln, wie und wofür sie KI einsetzen möchten. Doch bei der technischen Umsetzung wäre es ein Fehler, alles intern zu erledigen. Finanzunternehmen neigen dazu, sehr vorsichtig und protektionistisch zu agieren, aber im Fall von KI ist diese Zurückhaltung nicht zielführend. Der Erfolg von KI hängt vielmehr von größerer Offenheit und dem Teilen von Daten ab. Der Wandel ist unvermeidlich, und die Branche kann es sich nicht leisten, zu defensiv zu handeln. Finanzdienstleistungsunternehmen sollten die treibende Kraft bei der Gestaltung der Auswirkungen von KI auf die Branche sein und diese Verantwortung nicht externen Akteuren überlassen.
Wie verändert sich das Testen von Software mit dem Fortschritt der KI?
Das Testen hat sich in den letzten 20 Jahren nur geringfügig verändert, doch die traditionellen Methoden sind der Komplexität moderner Systeme nicht mehr gewachsen. Personal aufstocken ist keine langfristige Lösung und hat in der Vergangenheit selten zu nachhaltigen Ergebnissen geführt. Wenn wir die Effizienz unserer Abläufe verbessern wollen, müssen wir das Testen grundlegend neu denken. Die Implementierung eines KI-basierten, selbstlernenden Systems bietet eine vielversprechende Lösung. Bei regelbasierten Systemen – sei es in der Einhaltung von Vorschriften oder im Testen – stützen wir uns auf Vorhersagen darüber, was schiefgehen könnte. Das Problem dabei ist, dass die meisten Probleme per Definition anders verlaufen, als man es vorhergesehen hat. Die Fähigkeit eines Systems, kreativer zu sein und Ideen zu erkunden, die dem Menschen irrational erscheinen mögen, bietet einen erheblichen Mehrwert. In einem derart anspruchsvollen Umfeld übertrifft KI die menschliche Leistungsfähigkeit durch ihre dynamische Anpassungsfähigkeit.
Welchen Stellenwert hat KI für Linedata?
KI ist von großer Bedeutung für uns und eine der strategischen Säulen unseres Fünfjahresplans. Wir betrachten KI aus zwei Perspektiven: Einerseits möchten wir unseren Kunden dabei helfen, technologische Fortschritte zu nutzen und auf potenzielle Störungen vorbereitet zu sein. Wir glauben fest an das Prinzip der Fünf-Sekunden-Verbesserung, weshalb wir uns verpflichtet haben, innerhalb der nächsten zwölf Monate KI in jedes unserer Produkte zu integrieren. Andererseits richten wir den Blick nach innen: Wie können wir uns als Unternehmen weiterentwickeln und unsere Rolle als Lösungsanbieter stärken? Unsere Entwickler nutzen bereits Copilot-Systeme und andere Technologien, um effizienter mit ihrem Code zu arbeiten. Darüber hinaus schulen wir unsere Mitarbeiter im Bereich Künstliche Intelligenz und verändern unsere Herangehensweise an das technische Management sowie das Testen von Anwendungen.
Der Erfolg von KI hängt von größerer Offenheit und dem Teilen von Daten ab. Der Wandel ist unvermeidlich, und die Branche kann es sich nicht leisten, zu defensiv zu handeln.“
Dieses Interview stammt aus unserem aktuellen Bericht Wie KI die Zukunft der Finanzdienstleistungen prägt.